Ein grüner Muntermacher mitten in der Stadt
Wer gern im Wald läuft, ist im Hamburger Stadtwald genau richtig.
Neulich haben sie die Wege im Wald neu gemacht. Und wir haben uns gefragt, wann das wohl war – vielleicht nachts? Unter Scheinwerferlicht? Wir laufen nämlich drei Mal die Woche unsere 14 Kilometer durchs Niendorfer Gehege im Hamburger Norden und kriegen hier alles mit. Waldarbeiter haben wir nie bemerkt. Einmal, vor drei, vier Jahren, mussten wir von der gewohnten Strecke abweichen, weil Tiere aus dem Damwild-Gehege geschossen werden mussten, das dem Wald seinen Namen gibt. Der Revierförster hatte großräumig absperren lassen. Ein paar Mal knallte es tatsächlich. Es waren wohl zu viele Hirsche geworden, vielleicht auch, weil die Spaziergänger, viele Familien mit kleinen Kindern, die Tiere so liebevoll mit Kastanien, Möhren und Äpfeln füttern. An sonnigen Sonntagen kommen die Hirsche, Kühe und Kälber gar nicht mehr an den Zaun. Sie sind satt. Dann laufen die Kinder weiter zum großen Spielplatz oder zum Ponyreiten. Es gibt hier viel zu sehen und zu tun. Und wer danach Hunger hat, findet sogar ein gemütliches Waldcafé mit herrlicher Sonnentertasse.
Die neuen Wege sind jedenfalls gut, finden wir Jogger. Sie sind mit hellem Sand und etwas Kies aufgeschüttet, der mehr Wasser verträgt als der alte Belag (das ist wichtig in Hamburg) und auch in der Dämmerung gut zu sehen ist. Es führt jetzt ein helles Band durch das Gehege, und weil die Oberfläche nun schön eben ist, lauern weniger Stolperstellen auf Spaziergänger, Wanderer, Läufer, Nordic Walker und Radfahrer. Wir sind eine große Gemeinschaft, man sagt „hallo“ beim aneinander vorbeilaufen und gönnt den anderen Disziplinen die Freude an der Bewegung. Eng wird es hier selten, was für Hamburg ja ziemlich untypisch ist.
Wir gehen seit 15 Jahren im Niendorfer Gehege joggen. Immer morgens, um 9 Uhr. Bei jedem Wetter. Auch an Silvester, dem zweiten Weihnachtstag oder Ostersonntag. Unser Gehege. Dieses schöne Stück Hamburg. Da kann uns die Alster, Hamburgs beliebteste Laufstrecke, gestohlen bleiben. Im Niendorfer Gehege grüßt man sich beim Laufen und kennt die Hunde mit Namen. An der Alster überholt man sich verbissen und atmet auf der halben Länge Abgase ein.
Der 142 Hektar große Stadtwald liegt im Bezirk Eimsbüttel. Eine viertel Million Menschen lebt hier; das quirlige, dicht besiedelte Eimsbüttel gilt als angesagt. Schöne Straßenzüge voller Gründerzeit-Ensembles, Restaurants, Geschäfte, Kneipen und Cafés – gerade Familien finden hier alles, was sie brauchen. Doch das Quartier wird immer weiter verdichtet, mehr und mehr zubetoniert. Auch deswegen sind grüne Lungen wie das Niendorfer Gehege so wichtig. Von zwei Seiten ist das Gehege sogar mit der U-Bahn-Linie 2 zu erreichen. Es gibt ein paar Parkplätze; somit können auch Sportler diesen schönen Freiluftsportplatz nutzen, die weiter weg wohnen und mit dem Auto kommen.
Die Puristen aber wohnen im Viertel und nähern sich dem Gehege laufen oder fahrend – wobei: Mountainbiker gibt es hier keine, es ist brettflach, das ist dann wohl zu langweilig, und an einem ganz normalen Dienstagmorgen ist man fast für sich, wenn man den neuen Waldkindergarten an der Südseite passiert hat. Die Kinderstimmen im Rücken verhallend, biegen wir die erste Möglichkeit rechts ab und sind schon mittendrin in diesem gepflegten Buchenmischwald. Auch Fichten und Eichen stehen hier. Die Luftqualität ist deutlich besser als in den städtischen Quartieren, aus denen wir kommen, und die Bäume dämpfen den Lärm der Stadt bis auf ein leises Rauschen. Wir freuen uns immer, wenn wir die Bunt- und Grünspechte mal hören, oder im westlichen Teil des Geheges in Richtung Eidelstedt plötzlich ein Habicht majestätisch vorbeistreicht. Dass Jets im Anflug Richtung Fuhlsbüttel über das Gehege donnern, kommt vor. Wir sind mitten in der Stadt, auch wenn man das vergisst an diesem idyllischen Flecken, den man von Süden kommend über eine kleine Holzbrücke passiert, die über die Kollau gespannt ist. Das sieht bei Sonne postkartenschön aus. Fast kitschig.
Nur ein paar Spaziergänger sind morgens unterwegs, manchmal eine Gruppe älterer Nordic Walkerinnen, immer fröhlich, frühe Jogger, Hundebesitzer. In drei Jahreszeiten ist der Boden schön weich, ohne matschig zu sein (außer an einer Stelle, wo häufig Reiter unterwegs sind), im Winter kann es auch mal härterer Untergrund sein; gefrorener Boden, blauer Himmel, die Sonne strahlt und Schnee hängt in den Wipfeln – auch solche Tage gibt es hier. Sie sind selten.
Es gibt begeisterte Läufer, die wurden im Hamburger Osten nicht glücklich, weil ihnen das Niendorfer Gehege als Laufstrecke gefehlt hat. Es ist ein besonderes Stück Hamburg. Man ist für sich und doch unter Gleichgesinnten, niemand posiert, und selbst am Sonntag kann man sich aus dem Weg gehen, wenn es hier mal voller wird. Etwa 15 Kilometer Wege können abgelaufen werden, und wem das nicht reicht, der kann querwaldein verschwinden.
Wenn man sich auf dem Rückweg vorbei an Hagenbecks Tierpark wieder Beton und Lärm der Stadt nähert, spürt man den Segen der sportlichen Anstrengung. Das ist die pure Entschleunigung. Die Atmung geht frei, auch wenn man sich unterhält, die Beine laufen wie von allein, die Körper-Temperatur ist ideal – schnell das überflüssige Shirt ausgezogen und um die Hüften geschwungen. Jedes Mal hält diese Strecke durch den Hamburger Stadtwald namens Niendorfer Gehege ein paar solcher Geschenke bereit, und zwar nicht nur für die Kondition. Laufen als Anti-Depressiva, als Krebs-Vorsorge, als Herz-Kreislauf-Trainer. Spätestens unter der Dusche ist das Glücksgefühl spürbar, das ein morgendlicher Lauf durch den Wald auslösen kann.
Langweilig ist uns noch nie geworden im Niendorfer Gehege, unserer liebsten Laufstrecke mitten in Hamburg. In drei Tagen treffen wir uns wieder.
(Quelle: DOSB/Frank Heike)
Der Nachdruck ist – mit Angabe der Quelle (DOSB) und mit Verweis auf www.waldsportbewegt.de – gestattet und ausdrücklich erwünscht.
Essay (Quelle: DOSB/Frank Heike) als pdf, Foto (Quelle DOSB/Frank Molter) in Druckqualität