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Der Wald im Klimastress

In 50 Jahren wird der deutsche Wald anders aussehen

Zeitungen und Zeitschriften haben ihr Sommerthema: der deutsche Wald im Klimastress. „Kranker Klimahelfer“, schrieb die „Welt am Sonntag“. „Immer noch sauer?“, fragte „Chrismon“, das evangelische Magazin. FAZ, Süddeutsche Zeitung und die „Welt kompakt“ berichteten, auch das „Hamburger Abendblatt“, teil alarmiert, teil sachlich. Der „Stern“ unterhielt sich mit Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben und fragte ihn: „Wie geht´s unserem Wald?“

Auch das politische Berlin nahm sich in Person Julia Klöckners (CDU) des Themas an. Die Landwirtschaftsministerin schaffte es mit ihrem „großen Programm zur Wiederaufforstung“ in die Schlagzeilen. Und dann brennt auch noch der tropische Regenwald in Amazonien.

Doch wie sah es tatsächlich im deutschen Wald aus in diesem Sommer, in Baden-Württemberg etwa? Dort treten die klimabedingten Waldschäden deutlich wahrnehmbar zu Tage. Wenige Niederschläge und außergewöhnliche Hitze haben im vergangenen Jahr die Böden austrocknen lassen und die Bäume geschwächt. Daneben kam es zu Sturm- und Schneebruchschäden. Beides war Grundlage für einen Befall mit Insekten. Zum Beispiel mit rindenbrütenden Borkenkäfern, Schwamm- und Eichenprozessionsspinnern. Pilzerkrankungen kamen hinzu.

Das Schadausmaß ist gravierend. Gregor Seitz, studierter Förster aus Freiburg, will jedoch sachlich informieren. Das Wort „Waldsterben“ kommt ihm im Gespräch zum Wald im Klimastress nicht über die Lippen. Dieser Begriff war in den 80er Jahren noch in aller Munde. Damals bestand die Furcht, befördert durch viele Medienberichte, dass der geschwächte deutsche Wald irgendwann „weg“ sei.

Seinerzeit resultierte die Luftverschmutzung überwiegend aus Abgasen (Stickstoffdioxide, Kohlendioxid und Schwefeldioxid) aus Kohlekraftwerken und Autos. Das schädigte den Wald. Das heutige Baumsterben hat andere Gründe. Seitz sagt: „Waldkrankheiten sind nicht monokausal entstanden. Es ist eine Gemengelage. Stürme, Trockenheit, Starkregen und Hagel haben den Wäldern zugesetzt. Hinzu kamen der Borkenkäfer und Mikro-Organismen. Dabei sprechen wir von sich seit mehreren Jahren aufschaukelnden Ereignissen.“

Seitz arbeitet an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) in der Abteilung Waldschutz. Diese überblickt die Wälder und berät die Waldbesitzenden in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Dort sind die Überwachung, Beratung und Beseitigung von Waldschäden seine tägliche Aufgabe. „Jeder, der mit dem Wald zu tun hat, kennt den Klimastress“, sagt er. Aktionismus mag Seitz dabei nicht. „Wir haben in jedem Fall eine für Bäume Stress hervorrufende Gesamtsituation von besonderem Ausmaß. Diese ist losgelöst von einer einzelnen Baumart. Wir kennen zwar die Maßnahmen, die wir ergreifen müssen, stehen insgesamt jedoch vor einer gewaltigen Herausforderung. Die kurzfristige Zielsetzung ist die Bewältigung der gegenwärtigen Schadsituation und bestmögliche Begrenzung der Schäden. Das langfristige Ziel sind stabile Wälder mit dem Vermögen der Selbstregulation. Aber das braucht Zeit, viel Zeit. Wir können den Wald nicht von einem Winter auf den nächsten Sommer verändern. Alle Akteure im Wald haben verstanden, dass wir agieren müssen, nicht reagieren.“

Das seit dem Sommer 2018 sichtbare Baumsterben wurde durch Sturmschäden und einen folgenden heißen, trockenen und langen Sommer und einer extremen Vermehrung von Borkenkäfern an Nadelbäumen ausgelöst. „Wir haben in Bezug auf den Buchdrucker an der Fichte geänderte Rahmenbedingungen. 2018 ging es schon sehr früh im März mit dem Borkenkäfer los. Seine Entwicklung ging dann bis in den Oktober. Das war neu für uns“, sagt Seitz. Die Spirale aus wenig Regen, hohen Temperaturen und kleineren Windereignissen beobachtet Seitz schon seit 2014: „Es schaukelt sich langsam auf. Eine Fülle an Baumarten ist beschädigt, weil zu viele schlechte Bedingungen zusammenkommen. Baumkrankheiten sind im Allgemeinen ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren – hier beispielsweise Trockenheit, Windwürfe und Insekten“. Im Winter 2018/19 kamen noch ungewöhnlich starke Schneefälle hinzu.

Die Forstleute und Waldbesitzer tun, was sie können, um ihren Wald zu schützen und zu erhalten. Viel an Wissen sei da, sagt Seitz. Aber man habe manches Wissen lange nicht gebraucht. Hinsichtlich der Anpassung der Wälder an den Klimawandel wird eine Vielzahl neuer Baumarten diskutiert. „Wir pflanzen neben unseren einheimischen Baumarten seit geraumer Zeit südlichere Baumarten an, für die gesicherte Erkenntnisse vorliegen und die an unsere Ökosysteme angepasst sind. Diese Baumarten sollten besser mit dem prognostizierten Klima hier zurechtkommen. Aber wir brauchen Jahre, bis wir sagen können, ob weitere Alternativbaumarten passen oder nicht. Und wir können keine Garantie geben, dass das in Bezug auf Waldkrankheiten passt.“

Seitz wünscht sich noch mehr Zusammenarbeit der Bundesländer, denn alle seien betroffen. Gleichermaßen ist es wichtig, die Betroffenen frühzeitig einzubinden. Ideal wäre es, würden „sämtliche Personen, die mit dem Wald zu tun haben, zusammenarbeiten.“ Seitz meint die Waldbesitzenden, die Flächenverwaltungen, die Naturschutzverbände und auch die Kunden, die gerne Holzprodukte kaufen, aber oft wenig über den Wald und seine Probleme wissen. Dies wird in Baden-Württemberg und auch anderen Bundesländern durch regionale Runde Tische realisiert.

Seitz hält es für sehr wichtig, auch die Waldbesuchenden zu informieren – und dabei nicht übermäßig zu schonen: „Die Ansprüche an Waldflächen haben stark zugenommen. Wir müssen natürlich informieren, was stattfindet. Dafür haben wir ein Informations- und Kommunikationskonzept erarbeitet. Hierzu zählen zum Beispiel Info-Tafeln im Wald. Das ist auch wichtig, denn wir haben eine Dienstleistungsfunktion für die Sportlerinnen und Sportler sowie alle anderen Erholungssuchenden im Wald. Es wird so sein, dass sich das Bild des Waldes kurzfristig ändert: man wird tote Bäume sehen. Schon jetzt lassen die Forstleute trockene Buchen stehen, wenn sie keine Gefährdung für die Waldarbeitenden und Erholungssuchenden sind. Es kommt auch vor, dass abgestorbene Bäume stehen bleiben, bis die Forstbetriebe für die Aufarbeitung wieder Zeit und Luft haben – deshalb kann ein gewohnter Weg auch mal gesperrt sein. In den Wäldern ist gerade sehr viel in Bewegung, wenn Bäume gefällt und freie Flächen wieder mit jungen Bäumen bepflanzt werden.“ Wenn die Erntemaschinen und die Holz-LKWs derzeit alle drei bis vier Wochen in den gleichen Gebieten unterwegs seien, um gefällte Bäume abzutransportieren, hätten Spaziergänger eine andere Wahrnehmung vom Wald als den ihnen bekannten Erholungswald. Eben weniger ruhig und verbunden mit Umwegen. Auch der Zustand der Wege kann zeitweise eine sportliche Herausforderung bergen.

Sind naturnahe Laub-Mischwälder widerstandsfähiger gegenüber Stürmen als Industrieforste? „Es gibt positive Effekte aus der Mischung“, antwortet Gregor Seitz, „wer breit streut, steht sicherer, sagt man. Er benennt auch einen Effekt gegen Fichten-Borkenkäfer: „Je mehr Vielfalt man an Dichte und Höhe im Wald hat, desto schwieriger wird die Wirtsbaumfindung. Borkenkäfer orientieren sich am Duft. Die Buche beispielsweise gibt einen Duft ab, den der Borkenkäfer nicht mag.“ 76 Prozent der deutschen Wälder sind Mischwälder (Wert von 2012). Derzeit und zukünftig werden reine Nadelwälder behutsam in stabilere Mischwälder umgebaut und naturnah gepflegt; in Baden-Württemberg beispielsweise läuft dies seit mehreren Jahrzehnten. Vor allem der Anteil der Buche hat dadurch stetig zugenommen. In Rheinland-Pfalz ist sie bereits die häufigste Baumart.

Zum zukunftsfähigen Wald gehört auch, die alten Bekannten Buche, Eiche, Kiefer, Weißtanne und Fichte an geeigneten Standorten anzubauen, also dort, wo Boden und Klima zu ihnen passt. Infolge des Klimawandels sind viele Fichtenstandorte für diesen Baum nicht mehr gut geeignet. 

Drei Komponenten nennt Seitz am Ende des Gesprächs, die den Wald ausmachen. Die soziale, die ökologische und die ökonomische: Erholungssuchende wollen sich im Wald bewegen, der Wald spielt als CO2-Speicher eine große Rolle als „Klimaretter“, und Waldbesitzende leben vom Handel mit dem nachwachsenden hochwertigen Rohstoff Holz. „Das sind drei Schenkel einer Wippe, die in der Balance zu halten sind“, sagt der Förster. Keine Frage, dass das eine komplexe Aufgabe ist. Für ihn ist klar: „Der Wald wird in 50 Jahren anders aussehen – und die Försterinnen und Förster engagieren sich mit ganzer Kraft, dass der Wald bleibt. Für diese und die folgenden Generationen.“

(Quelle: DOSB/Frank Heike)

Der Nachdruck ist – mit Angabe der Quelle (DOSB) und mit Verweis auf www.waldsportbewegt.de – gestattet und ausdrücklich erwünscht.

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